Ameisen im Palmwein
  • 1/1/2015
  • Travel stories

Ameisen im Palmwein

Beinahe wäre ich schon ein Jahr zuvor nach Nigeria gereist, um Bonifaces Projekt und Land besser kennen zu lernen. Leider hats dann doch nicht geklappt.

Beinahe wäre ich schon ein Jahr zuvor nach Nigeria gereist, um Bonifaces Projekt und Land besser kennen zu lernen. Leider hats dann doch nicht geklappt. Aber ich habe ihm versichert, dass ich das noch nachholen würde. Für mich stand fest, ich würde mich früher oder später auf eine Erlebnistour in Schwarzafrika begeben. Am jährlichen Children of Tomorrow Fest in Zürich hab ich die weiteren Interessenten getroffen und wir haben den Berichten früherer Projektbesucher gelauscht, ihre Fotos betrachtet, nigerianisch gegessen und Musik von King Kora gehört. Jetzt waren wir richtig eingestimmt. Zu viert würde es auf die Reise gehen, zwei junge Frauen, zwei junge Männer. Bald darauf meldete sich Boni wieder, die Flugpreise seien besonders günstig. Ich haderte nicht lange und koordinierte den Ticketkauf, damit auch alle mit demselben Flieger im Februar in Lagos ankommen würden. Mit dem Buchen verspürte ich zum ersten Mal eine kleine Aufregung. Doch die Anschläge der Boko Haram und die plötzlich in die Höhe steigenden Benzinpreise beunruhigten mich zu keinem Zeitpunkt. Ich wusste, Bonis oberste Priorität ist unsere Sicherheit. Niemals würde er riskieren, dass wir in eine riskante Situation gelangen würden.

Zehn Tage Nigeria! Ich freute mich schon riesig, nicht auf Ferien, sondern auf die neue Erfahrung, auf den Zauber unbekannter Gebiete.

Geimpft und gut gelaunt trafen wir vier uns am 6. Februar 2012 in der Früh am Flughafen Zürich. Das war, als die Temperaturen in der Schweiz bei unter -10°C lagen. Meine Jacke hatte ich zu Hause gelassen, um Platz zu sparen. So hatte mein weniges Gepäck in einem Rucksack Platz. Hinzu kamen die zwei Riesenkoffer, die ich für Boni transportierte, deren Inhalt den Waisenhauskindern zu Gute kommen würde. Via Frankfurt gelangten wir in das bevölkerungsreichste Land Afrikas. 30°C, hohe Luftfeuchtigkeit, ein fremder Geruch, viele schwarze Angestellte, die es nicht allzu eilig haben. Warten, Passkontrolle, warten, Gepäckband, warten, Gepäckkontrolle, warten, Impfausweiskontrolle, warten. Einer meiner Reisekollegin wurde bereits der erste Heiratsantrag gemacht. Es sollte nicht der letzte bleiben. Nach einer Stunde waren wir aus dem Flughafen raus.

Boni war vorausgereist und hatte versprochen, uns ab zu holen. Und da war er auch schon. Unser Reiseleiter, unser Beschützer, unser Organisator, unsere Geldwechselstube, unser Gastgeber, unser Reisevater. Mit ihm schlüpften wir durch die Menge zu unseren Fahrern. Das Abenteuer hatte schon begonnen. Die Fahrt durch die chaotische Stadt war die durch eine fremde Welt. Wir fuhren in den Schlund der Megacity, tiefer und tiefer in die Dämmerung hinein. Nach der Ankunft in Bonis Sitz in Lagos bekamen wir leckeres, selbstgekochtes, lokales Essen serviert und gaben uns früh der durch die ersten Eindrücke verursachten Müdigkeit hin.

Es folgten in den nächsten Tagen viele weitere starke Impressionen. Der Touristenmarkt, die Strandbar mit dem schärfsten gegrillten Fisch, von dem ich je kosten durfte, der Gitarrenspieler, der über den scharfen Fisch ein Lied improvisierte, Bonis Importumschlagstelle für den Verkauf seiner Waren, die verstopften Strassen. Und schon ging es weiter mit dem Bus nach Enugu. Nach fünf Minuten stieg die Klimaanlage aus. Daran ändern konnte auch der zugestiegene, öffentlich predigende Prister nichts. Das die 12-Stunden-Fahrt keine Qual wurde, verhinderte ein Regen, der vor Mittag begann und eine Zeit lang anhielt. In Enugu ging es deutlich ruhiger zu und her. Da fühlten wir
uns sehr wohl. Eine Stadtrundfahrt mit Sunday und unserem neuen persönlichen, verschwiegenen Bodyguard machte uns die Stadt noch sympathischer. Wir besuchten einen Sportplatz, den Flugplatz, welcher zum Stolz der Einwohner bald international angeflogen wird, zur Abwechslung mal ein modernes Einkaufszentrum, Bonis Umschlagstelle vor Ort, den auch Deutsch sprechenden Geistlichen und natürlich den Markt. Zuerst durchquerten wir den Ziegenmarkt. Dunkelschwarze Männer in traditionellen Kleidern mit Narben im Gesicht als Stammeserkennungszeichen feilschten
um die unzähligen Geissen, Böcke und Zicklein. Genauso wie sie unsere Blicke auf sich zogen, passierte das Gleiche umgekehrt. Doch wie fast alle Nigerianer, die wir trafen, blieben sie zurückhaltend und nett. Auch untereinander hatten die Christen und Muslime keine Probleme und pflegten einen angenehmen Umgang. Auf dem Gemüsemarkt trafen wir hingegen fast nur Frauen an. Diese waren auch nicht besonders zurückhaltend. Im Gegenteil, kaum erkannten sie, dass Weisse sich in ihr Viertel verirrt hatten, schrieen sie lauthals und voller Freude "Oyyoodscha, oyyoodscha!", was unsere Hautfarbe beschreibt. Viele haben wohl noch nie einen Weissen getroffen. In Enugu befindet sich auch das Waisenhaus, auf den Besuch dessen wir uns besonders freuten.
Boni führte uns durch die verschiedenen Stockwerke mitsamt der Kinderschar. Jeder von uns hatte in Nullkommanichts ein Kind an jeder Hand. Ihre Freude, dass wir sie besuchen, war mindestens so gross wie unsere. Nachdem sich alle Kinder und wir uns vorgestellt hatten, gab es eine Erfrischung und einen kurzen Tanzabend. Am nächsten morgen quetschten wir vier uns mit allen Waisen in einen alten Mercedes Sprinter und fuhren mit der ganzen Gesellschaft auf andere Autos verteilt in Bonis Geburtsdorf. Dort lernten wir mehr über das traditionelle Leben in Afrika. Da fielen die regelmässigen Stromausfälle nicht ins Gewicht, da eigentlich mit Ausnahme einer Lampe nichts mit Elektrizität
gespiesen wurde. Die Küche befand sich im Hof an einer Feuerstelle. Im Haus wurde nur geschlafen und Material deponiert. Das Nachtessen hatte es in sich. Nach einer Zeremonie wurden eine Ziege und ein Hahn getötet, zerlegt und gekocht. Als Alternative konnte man sich auch vom "afrikanischen Salat" bedienen. Dieser bestand zum Teil aus winzigen, getrockneten Meerestierchen. Was genau das war, hab ich nicht herausgefunden. Aber es schmeckte mir sehr gut. Die Hitze, das Essen und den frischen, mit Ameisen angereicherten Palmwein vertrugen nicht alle gleich gut. Zu dritt besuchten wir am nächsten Tag mit den Kindern die Sonntagspredigt in einer Kirche, aber unter freiem Himmel. Die Kirche ist noch nicht fertig gebaut. Die etwa zweistündige Zeremonie, welche nicht in Englisch, sondern Igbo statt fand, empfehle ich geduldigen oder religiösen Menschen. Unsere Zeit in Enugu mit den Waisenkindern neigte sich leider schon bald dem Ende.

Was noch anstand, war ein Besuch beim Schweizerbotschafter in Abuja, der Hauptstadt. Mit Klimaanlage in einem Mietauto reisten wir in den Norden. Die Landschaft wurde trockener, die Temperatur stieg weiter in die Höhe. Wir rasteten kurz am Strassenrand, um zu essen, trinken und führ viele WC-Pausen. Nach zehn Stunden waren wir im Hotel. Frisch geduscht, in Nigeria heisst das eher geeimert, weil man Wasser mit einem Eimer über sich giesst, machten wir uns gleich auf zum Abgesandten der Schweiz, dessen Prachtsvilla über der Stadt thront. Der nette Botschafter lud uns zu vielen schmackhaften Gängen, welche an die heimatliche Küche erinnerten. Zum Schluss unterschrieb er noch einen Vertrag, welcher Boni finanzielle Unterstützung für sein Projekt zusichert.

Von Abuja nach Lagos waren es nochmals zwölf Stunden, die aber mit traditioneller Musik im Auto auch irgendwie vergingen. Abgerundet wurde unser Aufenthalt durch einen Ruhetag, an dessen Abend wir uns herzlich von allen verabschiedeten und über Nacht in einer vergleichsweisen kurzen Reise zurück in die Schweiz gelangten. Zurück in die Kälte, wo wir uns an den Erinnerungen ans heisse Afrika, die Kinder, die Gastfreundschaft und die ganzen abenteuerlichen Geschichten wärmen können.

Zum Schluss muss ich nur noch Folgendes erwähnen: Ameisen im Palmwein sind ein Gütesiegel.

Jonas